Installation window

kunstkasten, Katharina Sulzerplatz, Winterthur

1,50 m x 3,60 m x 2,20 m, Zitterpappel, Filz, Holz weiss bemalt

Installation window von der Seite her gesehen

Ein Bäumchen ragt aus einem kreisrunden, dunklen Loch in der schmalen, weissen Rückwand des kunstkastens waagrecht in dessen verglasten Raum.

Mit wenigen Elementen, welche der unmittelbaren Umgebung entnommen wurden, bringt die äusserst reduzierte Installation alles ins wanken. Die Zitterpappel hinter Glas und in ungewohnter Horizontale wird zur irritierenden Skulptur. Sie verwandelt den kunstkasten in einen umgekippten Kasten.

Gleichzeitig stellen sich vielfältige Bezüge zur Umgebung des kunstkastens ein: zur Baumgruppe der Zitterpappeln, welche sich ein paar Schritte hinter dem kunstkasten befindet und zum Platz, auf dem der kunstkasten steht. Die Installation ist gleichsam eine Einstülpung des Aussen in das Innen und löst damit die Grenzen zwischen innen und aussen auf. Begrenzungen und deren Auflösung, Fiktionen von Wirklichkeit und Natur zeigen sich in der Installation window in Form einer Intervention.

Reimut Reiche

 

Pappel, frei liegend im Glaskasten

 

Typologisch gehört das Werk window zur Gruppe der temporären Installationen – temporär hier in einem doppelten Sinn: die Installation soll nach ihrer äußeren Bestimmung nur für eine begrenzte Zeit, in diesem Fall sechs Wochen lang, zu sehen sein und sie beginnt nach ihrer inneren Bestimmung, vom Moment ihrer Errichtung an zu zerfallen, ohne daß die Künstlerin in diesen Zerfallsprozeß eingreifen könnte. Zu dieser doppelt temporären Untergruppe gehören, vom Ausdrucksmaterial her gesehen, höchst unterschiedliche Werke – genannt seien hier nur die Performances von Vanessa Beecroft, bei denen eine größere Anzahl gleichförmig hergerichteter Frauen – manchmal auch Männer – in einem Museums-Saal nach einer genauen Anweisung solange stillstehen, bis das Arrangement zerfällt. Auch dort beginnt, wie bei Claudia Lehner, der Zerfallsprozeß virtuell mit dem Beginn der Installation: irgend ein Bein oder Arm können nicht mehr stillhalten, irgend ein Blatt fällt alsbald ab.

Zu den konstitutiven Elementen des Werks window gehört der vorgegebene Wechselrahmen mit dem lokal eingeführten Namen „kunstkasten“ – ein für jeweils sechs Wochen zu bespielender Glaskasten an prominenter Stelle des Sulzer-Areals von Winterthur. Sodann seine in diesem Fall nicht nur metaphorisch bedeutungsvolle nächste Umgebung: 69 Pappeln auf der zu einem begehbaren Groß-Kunstwerk umgestalteten Schwebekranen-Straße des Areals. Auf dieser Allee schwebten früher einmal Waggons und Lokomotiven. Drittens eine querliegende Pappel im Innern des Glaskastens, die ebenfalls schwebt, deren Aufhängung jedoc, im Unterschied zu den früher hier schwebenden, in Revision und Instandsetzung befindlichen Waggons und Lokomotiven, nicht sichtbar ist. Diese drei Elemente gehen vielfältige Beziehungen miteinander ein.

Die in den Kasten verbrachte Pappel teilt das Element des Zerfalls mit vielerlei organischen und anorganischen Ausdrucksgestalten, etwa Blumensträußen und Sandburgen. Das sind zwar keine Kunstwerke im offiziellen Sinn, aber doch kunstanaloge Gebilde. Für gewöhnlich wollen wir diesen Zerfallsprozeß aufhalten und folgen dem Impuls, verwelkte Blumen aus dem Strauß herauszunehmen, das Ding neu zu arrangieren oder, während die Flut kommt und die Burg zu unterspülen beginnt, an dieser herumzutatschen und die zerfallenden Ränder noch für einen Augenblick zu festigen. Von einem radikalen Gesichtspunkt her betrachtet, nämlich von dem des Kunstwerks, könnte man dem fertigen Strauß oder der Burg aber auch die Ehre antun, sie nicht mehr anzurühren, nicht mehr an ihnen herumzufummeln, sondern sie ihrer Bestimmung zu überlassen – und diese Überlassung zu genießen. Jedenfalls hat Claudia Lehner gut daran getan, ihrem waagrecht unter Glas gestellten Baum keinen verdeckten Wasserspeicher mitzugeben. Was wäre dabei herausgekommen? Eine Bahnhofsblume mit einem eingebauten Wassernäpfchen, das mit seinem obszönen Kunststoffnippel den Stiel der Blume bündig abdichtet. Also auf jeden Fall eine barbarische Negation der Schnittblume, oder, in unserem Fall, der gefällten Pappel. Und doch kulturübliche Praxis: dem Tod auf diese Weise ein paar Stunden und Tage abzukaufen.

Dieser Vergleich soll sichtbar machen: Claudia Lehners Installation enthält in sich einen Akt der Zerstörung. Eine Pappel wird in einer Gärtnerei geordert – und dann läßt man sie vertrocknen. So etwas tut man mit Pappeln nicht. Das Riskante dieser Transformation eines Baums in ein Kunstwerk erkennen wir, wenn wir eine kleine Reihe von den üblichen und gestatteten hin zu den tabuierten Organzerstörungen bilden. Beginnen wir mit der Petersilie. Tatsächlich werden 85 Prozent dieses in Großgärtnereien angebauten Krauts zur Dekoration von Buffets und kalten Platten verwendet. Eine Künstlerin läßt eine eigens für diesen Zweck gefällte Pappel in einem Kasten schweben. Eine Künstlerin läßt 2000 für diesen Zweck gefällte Pappeln in 2000 Kästen schweben: das würde nicht gut ankommen, das wäre irgendwie nicht korrekt, obwohl sich Pappeln in ihrer biologischen Lebenshöhe kaum von Petersilie und Christbäumen unterscheiden. Aber Petersilie und Christbäume stehen in einem kultisch-ornamentalen Traditionszusammenhang, der ihre Vernichtung erfordert und als Schmuck adelt. Damit ist ein latentes Sinnelement dieser Installation angesprochen: wir tolerieren das Ausstellen des Verdorrens dieses einen Baumes nur als Stellvertreter – als stellvertretendes Opfer für seine unmittelbar neben ihm auf der revitalisierten und in Kunst transformierten Industriebrache lebenden Mitbäume.

Unter den Untaten des Kunstbetriebs rangiert die willkürliche Pseudosinnstiftung des Arrangierens thematisch auch nur irgendwie vage verwandter Kunstwerke zu Paaren ganz weit oben. Man sperrt Skulpturen von Beuys und Rodin in einen Raum oder Bilder von Cezanne und von Caspar David Friedrich – und läßt sie dann miteinander „kommunizieren“ und schreibt in den Katalog: „durch diese Begegnung eröffnen sich überraschend neue Räume“. Wenn man der Sache ein wenig auf den Grund geht, stellt man fest, daß Rodin oder Friedrich gerade zu haben waren, weil das Museum x dem Museum y noch einige Retouren für frühere Leihgaben schuldete. Im Falle unserer Pappel verhält es sich ausnahmsweise einmal anders. Hier stehen 69 Pappeln auf einer seltsam artifiziellen Allee und am Ende dieser Allee finden wir auf einem Sockel einen Kasten aus Glas, genannt „kunstkasten“ und in diesem Kasten haben wir wechselnde Präsentationen von Künstlern und für eine Präsentations-Zeiteinheit von sechs Wochen liegt oder schwebt da eine einzige Pappel, ob sie will oder nicht, und ob die Künstlerin dies wollte oder nicht, im Angesicht ihrer Artgenossen und fängt alsbald an abzusterben – und wird durch diesen Akt an diesem Ort zu einem Kunstwerk. Das ist eine Begegnung besonderer Art.

Diese eine Pappel radikalisiert als Stellvertreter und Gegenüber das Schicksal der 69 anderen Pappeln. Auch diese stehen ja auf einem für den Kunstbetrieb umgewidmeten – man könnte etwas lax sagen – zu Kunst erklärten Gelände. Auch sie stehen in einem – wenn auch unsichtbaren – Glaskasten. Und dies wiederum nicht nur metaphorisch: Sie stehen ja auf einem sehr artifiziellen, nicht für sie geschaffenen Podest: der Kran-Bahn genannten Allee neben der Wohnungsüberbauung in dem ehemaligen Fabrik-Areal. Sie haben sogar einmal einen Architektur-Preis gewonnen, als prämierter Entwurf der Landschaftsarchitekten Nipkow und Partner. Ihr vorübergehender, zum Tod verurteilter Weggefährte spricht die prekäre Situation dieser 69 Pappeln, ihre Fremdheit stellvertretend für sie aus. Alle 70 müssen sich ihre Hierhergehörigkeit erst noch erarbeiten. Ob wir wollen oder nicht – wir sind ganz unvermutet auf ein christologisches Sinnelement dieser Installation gestoßen: das stellvertretende Opfer zum Zwecke der Erlösung. Jeder, der das Sulzer-Areal durchstreift, spürt diese prekäre Situation: es ist noch nicht gewiß, ob aus diesem Ding wirklich ein lebendiges, sich selbst tragendes, mit seinem Boden verwurzeltes Quartier werden kann.

Noch ein Wort zum Schweben in Querlage. Daß die Pappel quer liegt, ist vordergründig durch den Rahmen vorgegeben: in diesen kunstkasten kann man eine Pappel nur legen, nicht stellen. Vom untergründigen Entstehungsprozeß her betrachtet, sieht die Sache etwas anders aus: man muß ja überhaupt keine Pappel in einen Kasten verbringen. Auf diese Idee muß man erst einmal kommen, wie es im naiven Sprachgebrauch richtig heißt. Wenn also „in“ einer Künstlerin die Idee entsteht, eine einzelne Pappel zu den Pappeln auf der Kran-Bahn in Beziehung zu setzen, dann muß sie sie hinlegen oder querlegen – wie diese Idee in ihrem Kopf Gestalt und Wort annimmt, wissen wir nicht. Durch diesen Akt wird einerseits auf den „künstlichen“ Charakter der anderen 69 Pappeln, wie eben schon gesagt, zwangsläufig hingewiesen: diese Pappeln sind noch nicht ganz in der Kunst und noch nicht ganz in der gewöhnlichen Realität angekommen. Andererseits offenbart der gläserne Kasten auf seinem Sockel jetzt eine Bedeutung, die er latent schon immer hatte, die des Schneewittchensargs. Und schon wieder sind wir mit dem Thema von Tod und Auferstehung konfrontiert.

 

PD Dr. Reimut Reiche. Frankfurt, 2005

Markus Stegmann

 

Aus Holz und Hoffnung

Zu window

 

Jemand hat uns als lockere Gruppe hierher gestellt und eine Hoffnung in uns hineingetan.

Es ist schön, wenn man von jemandem mit einer Hoffnung betraut wird. Wir wissen zwar nicht, um was für eine Hoffnung es sich handelt, aber es wird schon eine sinnvolle Hoffnung sein. Als Baum kann man sich gegen eine fremde Hoffnung sowieso nicht wehren. Wir sind freundliche Bäume und vertreten gern die fremde Hoffnung, auch wenn wir sie nicht kennen.

Einer von uns ist dort hineingepflanzt worden. Jetzt hat er endlich genügend Zeit, um einmal in Ruhe nachzudenken. Er muss nicht mehr gegen Stürme kämpfen oder sich gegen Hagel und Schnee zur Wehr setzen. Er kann noch nicht einmal mehr von Hunden bepinkelt werden. Als Baum bildet man nicht einfach so einen Gedanken aus sich heraus. Man steht herum, aber normalerweise denkt man nicht im Stehen. Dazu braucht es eine besondere Umgebung. Es ist gut, wenn man auch als Baum einen vernünftigen Gedanken bilden und damit die Allgemeinheit bereichern kann. Ein einziger vernünftiger Gedanken zur Welt genügt schon. Aber als Baum hat man normalerweise keine Gelegenheit zu denken und das Gedachte einmal auszusprechen. Es hört einem auch gar niemand zu.

Einer von uns darf jetzt denken. Wenn einer von uns denkt, genügt das. Es müssen nicht gleich alle von uns mit dem Denken anfangen. Wir haben einen Baum ausgewählt, von dem wir annehmen, dass er gut denken wird, weil er uns schon früher einen nachdenklichen Eindruck gemacht hat, einen besonders nachdenklichen Eindruck, weil etwas nachdenklich sehen wir alle aus. Allein schon die Form des Hains bringt Nachdenklichkeit und Weltversonnenheit glaubhaft zum Ausdruck. Wir stehen gern als Hain zusammen, weil uns das etwas bedeutungsvoller aussehen lässt.

Wir sind gespannt, welcher Gedanke aus dem gläsernen Schrein dereinst herauskommen wird. Manchmal sind wir ungeduldig und winken oder machen ein Zeichen mit den Blättern. Aber unser Baum reagiert nicht. Er könnte ja mal zurückwinken. Vielleicht liegt das am Denken. Kann, wer denkt, nicht winken, oder wie ist das?

Wir wissen nicht, was später einmal mit ihm und uns geschieht, wir sind keine Propheten, sondern einfach nur Zitterpappeln. Wir wollen später nicht zersägt und zu Holzwolle verarbeitet werden. Wir möchten keine Furnierplatte werden oder als Milchtütenpappe zuerst in Milch ertrinken, dann als Abfall stinken und am Schluss als Müll zum Himmel brennen. Wer will das schon? Wer brennt schon gern? Wir würden lieber zu einem Denkmal für etwas Wichtiges in der Welt gezimmert werden. Davon bekommt man kein schlechtes Gewissen und ist trotzdem von einer gewissen Bedeutung.

Wir fürchten vor allem das Feuer. Als Holz kann man plötzlich einem Feuer zum Frass vorgeworfen werden. Noch nicht einmal einem wichtigen, historischen Feuer, nein, einem miesen, kleinen Schrebergartenfeuer zum Beispiel. So ein Feuer kommt natürlich nicht in der Zeitung. Da verbrennt man dann und niemand hat es gemerkt. Wenn es wenigstens ein bedeutendes Feuer wäre, von dem sich die Leute erzählen. Wenn man da mitgebrannt hat, lebt man immerhin als Gesprächsstoff weiter.

Also warten wir ab, was unser Baum aus dem gläsernen Sarg mitbringen wird. Vielleicht entwickelt er eine Idee gegen das Verbrennen. Das wäre schön, aber wir glauben nicht daran. Vielleicht bekommt er zu wenig Wasser und Luft und stirbt schliesslich beim Denken, während er uns aus der gläsernen Einsamkeit heraus betrachtet. Vielleicht aber lebt er weiter, und wir werden von einem Sturm geknickt. Einer muss den Tod des anderen mitansehen. Das steht fest und macht uns nicht besonders glücklich, auch wenn wir als hölzerne Hoffnungsträger gern einen weltversonnenen Hain bilden und zu allen freundlich sind, die kommen.

Ansicht Installation window in der Nacht
Ausschnitt Ansicht Installation window